„Ein Pilot ohne Lizenz ist ein Risiko für alle“ (Motionär Kantonsrat Markus Schaaf, EVP, anlässlich der Debatte zu seiner Motion, KR-Nr. 359/2023)
Am 13.1.2025 debattierte der Zürcher Kantonsrat über eine Motion (KR-Nr. 359/2023) der Kantonsräte René Isler (SVP, Winterthur) und Markus Schaaf (EVP, Zell) mit dem Titel „Wahlfähigkeitszeugnis für Oberjungendanwältinnen- und -anwälte“ und deren Leiterin oder Leiter.
Text der Motion: Der Regierungsrat wird beauftragt, die Anforderungen für Oberjugendanwältinnen und -anwälte, das Wahlfähigkeitszeugnis im Sinne von § 97 und § 98 des Gesetzes über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG, 211.1) anzupassen.
Begründung (Auszug): Als Staatsanwälte und Staatsanwältinnen können nur Personen gewählt werden, die über ein Wahlfähigkeitszeugnis verfügen (Art. 97 Abs. 1 GOG). Ein solches erhält, wer ein juristisches Studium abgeschlossen hat, über mehrjährige Berufstätigkeit in Rechtspflege oder Advokatur in der Schweiz verfügt und sich während einer einjährigen Kandidatur bei einer Staatsanwaltschaft bewährt oder eine Fähigkeitsprüfung bestanden hat (Art. 98, Abs. 1 GOG)….Wenn die Oberjugendanwaltschaft und deren Leitung dieselben Aufgaben wahrnimmt wie die Leitenden Staatsanwältinnen und -anwälte, sollten die Oberjugendanwältinnen und -anwälte auch die gleichen Voraussetzungen erfüllen müssen.
Werdegang des derzeitigen Leitenden Oberjugendanwalts des Kantons Zürich
Der Leitende Oberjugendanwalt des Kantons Zürich (seit 01.04.24 im Amt) und damit „Chef der Jugendstrafrechtspflege des Kantons Zürich“ (Terminus Justizdirektion), Herr Roland Zurkirchen, verfügt über kein Wahlfähigkeitszeugnis.
Zurkirchen war von 2017 bis 2024 Direktor der Untersuchungsgefängnisse des Kantons Zürich und weist gemäss Justizdirektion eine breite Erfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus. Nach einer Lehre als Speditionskaufmann sammelte er als Jugendarbeiter, später Fachperson für Soziokulturelle Animation und dann als Leiter der Fachstelle für Gewaltprävention des Kantons Zürich vielfältige Erfahrungen im Umgang mit Jugendlichen. 2013 übernahm er die Leitung des Gefängnisses Limmattal, das eine geschlossene Jugendabteilung führt (Text Justizdirektion).
Auszüge aus dem Votum der Justizdirektorin während der Ratsdebatte
Anlässlich der Debatte bediente sich Justizdirektorin Fehr einer speziellen Argumentation und Rhetorik, nachdem sie die Grundargumente gegen die Motion und für deren Ablehnung durch den Rat aus Sicht der Gegner nachvollziehbar dargelegt hatte.
Hier ein Auszug aus dem Votum, basierend auf der parlamentseigenen Videoaufzeichnung (kantonsrat.zh.ch) – es gilt das gesprochene Wort:
- „Es gibt hier ein paar Missverständnisse, die ich an dieser Stelle schon mal ausräumen möchte und die ich dann sicher noch einmal, wenn es darum geht, die konkrete Gesetzesänderung zu diskutieren, noch nochmals ausräumen möchte…aus all diesen Gründen ist es anachronistisch, sehr veraltet, etwas ständepolitisch, wenn hier in diesem Saal eine Mehrheit das Gefühl hat, eine interdisziplinäre Behörde müsse von einer Berufsgruppe geführt werden. Anderes ist zentral, es ist wichtig, dass alle Funktionen gut und kompetent besetzt sind und das ist in der aktuellen Situation der Jugendanwaltschaft der Fall, indem ein Leiter der eben einen gesamtheitlichen Blick hat, der die Gesamtverantwortung für die Behörde übernimmt, diese interdisziplinäre Arbeit kompetent begleiten kann, also Vollzug, Strafverfolgung und Verbundarbeit und dann in der stellvertretenden Position in der Oberjugendanwaltschaft eine Juristin sitzt, die vorläufig die Berufungsverfahren führen kann…Es gibt keinen Grund, das Rad der Zeit zurückzudrehen, in eine Zeit, wo man monodisziplinär, eng gefasst, irgendwelche Behörden aufstellte. Es ist höchste Zeit, dass wir hier auch eine aktuelle Lösung haben…„
- „Ich kann ihnen sagen, wir werden selbstverständlich, wenn diese Motion angenommen wird, werden wir sie umsetzen, wir werden dann die Diskussion noch einmal führen und ich bin überzeugt, dass der jetzige Stelleninhaber sie bis dann mit seiner Arbeit so überzeugt hat, dass sie dann keine Mehrheit mehr finden wird, weil es doch sehr, eine sehr veraltete Position ist, und etwas eine doch zu ständepolitische Position ist, die hier vertreten wird, und ich bin überzeugt, dass wir hier noch nochmals über die Bücher gehen werden.“
- „An dieser Stelle sei einfach klar gesagt, die Kompetenz der Wahl dieser Person liegt beim Regierungsrat und der Regierungsrat hat keinerlei Zweifel, dass er die richtige Person gewählt hat und diese Person wird diese Behörde auch solange führen, wie der Regierungsrat der Meinung ist, er sie führen soll!“
Ratsbeschluss vom 13.1.2025
Der Regierungsrat, auf Antrag der Justizdirektorin, Regierungsrätin Jacqueline Fehr (SP), beantragte dem Rat Ablehnung der Motion.
Der Rat – entgegen dem Antrag der Regierung – überwies die Motion mit 104:63 Stimmen bei einer Enthaltung. Gegen die Motion stimmten von den Ratslinken die Alternative Liste, die SP, Teile der Grünen und Die Mitte. Die Enthaltung kam aus den Reihen der Grünen.
Weiteres Vorgehen
Nun ist der Regierungsrat (vertreten durch die Justizdirektion unter Leitung von Regierungsrätin Jacqueline Fehr, SP) verpflichtet, dem Parlament innert zweier Jahre Bericht und Antrag zu unterbreiten. Der Regierungsrat kann in seinem Geschäftsbericht dem Kantonsrat einen begründeten Antrag auf Abschreibung der Motion stellen. Lehnt der Kantonsrat den Antrag ab, bleib der Regierungsrat verpflichtet, innert sechs Monaten nach der Ablehnung, Gesetzesbestimmungen oder einen Kantonsratsbeschluss zu unterbreiten.
Fazit
Regierungsrätin Jacqueline Fehr blieb ihrer in den letzten zehn Jahren gefahrenen, konfrontativen Linie treu und die (bürgerliche) Regierungsmehrheit scheint ihr weiter widerstandslos zu folgen.
Auch wenn die Magistratin argumentiert, die herrschende Lehre betreffend Leitung einer kantonalen Oberjugendanwaltschaft durch eine Person m i t Wahlfähigkeitszeugnis sei doch etwas zu „ständepolitisch“ und „anachronistisch“- ob die Direktorin nicht doch auf den erprobten Weg zurück geschickt wird, steht in den Sternen!
Und auch die derzeitigen Probleme und Zustände in den Zürcher Untersuchungsgefängnissen, sowie bei den justizinternen EDV-Applikationen, lassen für die Zürcher Justizverwaltung und deren erhoffte Entwicklung nicht nur Gutes erwarten.