Am 2.12.24 wird der Zürcher Kantonsrat (wie jedes Jahr wohl mehr oder weniger kritiklos) die Jahresberichte und den Nachweis der Einhaltung der negativen Zweckbindung der Kirchensteuern der juristischen Personen 2023, der Evangelisch-reformierten Landeskirche, der Römisch-Katholischen Körperschaft und der Christkatholischen Kirchgemeinde sowie die Jahresberichte 2023 der Israelitischen Cultusgemeinde und der Jüdischen Liberalen Gemeinde, zur Kenntnis nehmen. 

Neben den Einnahmen aus den Kirchensteuern erhalten die anerkannten Glaubensgemeinschaften (die in de Kantonsverfassung als öffentlich-rechtlich konstituierte Religionsgemeinschaften anerkannten Evangelisch-reformierte Landeskirche, die römisch-katholische Körperschaft und die Christkatholische Kirchgemeinde, sowie die als privatrechtlich verfasste Religionsgemeinschaften anerkannten Israelitische Cultusgemeinde Zürich und die Jüdische Liberale Gemeinde) bis dato auch direkt Geld aus dem Kantonshaushalt:

Im Februar 2025 wird der Zürcher Kantonsrat, auf Antrag der Regierung, mit grösster Wahrscheinlichkeit, einen weiteren CHF 300 Mio Rahmenkredit für die Kostenbeiträge an die anerkannten Religionsgemeinschaften für die Beitragsperiode 2026 – 2031 sprechen. Der Kredit folgt auf einen Rahmenkredit im gleichen Betrag für die Jahre 2020 – 2025. Der Kanton unterstützt damit Tätigkeiten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung, insbesondere in den Bereichen Bildung, Soziales und Kultur dieser Religionsgemeinschaften. Die Evangelisch Reformierte Landeskirche und die Römisch-Katholische Körperschaft gab 2022 28 resp. 30 Mio für die Bildung, 55 resp. 53 Mio für Soziales, 6 resp. 12 Mio für Kultur und 129 resp. 107 Mio für „weitere Ausgaben“ aus.

In der Rubrik „Meinung und Debatte“ der NZZ vom 25. November 2024 lobt nun der Zürcher Sicherheitsdirektor, Regierungsrat Mario Fehr (parteilos) in einem längeren, sehr emotionalen Beitrag die anerkannten Religionsgemeinschaften im Kanton Zürich über den Klee: „Unsere Kirchen sind jeden Franken wert“.

Der Sonnenkönig von Zürich (Tribüne, 30.8.24) und Primus inter pares des Regierungsrates (siehe „Standortbestimmung der Zürcher Regierungspolitik“, Tribüne, 19.8.24) lehnt sich mit seinem Meinungsbeitrag in der NZZ recht weit aus dem Fenster heraus („Wenn Ungleichheiten und Verwerfungen unsere Gesellschaft ins Straucheln bringen, braucht es die positiven verbindenden Kräfte und unterstützenden Impulse.  Solche Kräfte und Impulse liefern die anerkannten Religionsgemeinschaften im Kanton Zürich…).

Warum meldet sich der „reformierte Christ“ Fehr so energisch zu Wort?

Weshalb tut Fehr das? Hat er (unbegründete) Angst, dass das Parlament dem Antrag der Regierung auf den neuen CHF 300 Mio Rahmenkredit nicht folgt oder den Kredit zusammenstutzt? Das muss er wirklich nicht haben, scheint sich doch in der Vorberatenden Kantonsratskommission – wie in der Vergangenheit – auch dieses Mal, und trotz massiv mehr Alibi-Papier (siehe Kantonsrats-Grossversand), kein Widerspruch, geschweige denn Widerstand, zu rühren. Und auch seitens der Parteien ist es bis dato “ sehr ruhig“ geblieben…

Will Mario Fehr den Kredit vor dem Hintergrund massiver und ungebrochen weiter erfolgender Kirchenaustritte rechtfertigen? Oder tut er dies, weil er, Fehr – wie dieses Medium auch – im Januar oder im Februar 2025 und somit noch vor der Behandlung des neuen Kredits im Parlament, die Ansage eines vorzeitigen Rücktritts seiner für die Beziehungen mit den Religionsgemeinschaften verantwortlichen, ehemaligen Parteigenossin, Regierungsrätin Jacqueline Fehr nicht ausschliesst? Die Beziehungen zu den Religionsgemeinschaften sind Aufgabe der Direktorin des Innern und nicht des „Sozialministers des Kantons Zürich“ – wie sich Fehr in seinem Meinungsbeitrag nun vornehm nennt! Und Frau Fehr hat sich den Beziehungen zu den Religionsgemeinschaften auch immer mit grossem Interesse und Engagement angenommen  (J. Fehr: „findet es nicht logisch“, den Kirchen die Gelder zu kürzen, wenn deren Angebot trotz Mitgliederschwund gleich bleiben soll“ NZZ 2.2.24). Warum meldet sich Kollege Mario nun so energisch zu Wort? Oder mischt sich Fehr nun einfach auch noch in die Beziehungen mit den Kirchen ein, nachdem er ja zu jedem und allem wenn immer möglich an einem seiner vielen öffentlichen Auftritte Stellung nimmt und dies aus irgend einem unerklärlichen Grunde (Respekt oder Angst?) vor der Reaktion seiner Amtskollegin Jacqueline bis anhin in dieser Sache noch nicht getan hat?

Stellung der Kirchen in Staat und Gesellschaft

Gemäss einer von der Zürcher Justizdirektion und den Landeskirchen in Auftrag gegebenen Studie der Universität Zürich aus dem Jahr 2023 stellt sich die Frage, ob der (neben der Kirchensteuer) durch den Staat getätigte, jährliche Beitrag von CHF 50 Mio an die Landeskirchen aufgrund des Bedeutungsverlustes („Erosion der öffentlichen Rolle“) der Kirchen noch gerechtfertigt ist? Wollen die beiden grossen Landeskirchen deshalb einen „Rahmenkredit“ an die nicht anerkannten Religionsgemeinschaften leisten?

Im Jahr 2000 gehörten nur 16.8% der Zürcher Bevölkerung keiner Religion an. Innert 23 Jahren wuchs diese Zahl auf über 50% der Gesamtbevölkerung an und der Trend ist weiter ungebrochen, obwohl die definitiven Zahlen für das Jahr 2024 noch nicht vorliegen.

Im Jahr 2023 hatte der Kanton Zürich so viele Einwohner wie noch nie und es traten noch nie so viele Menschen aus den Landeskirchen aus. Ende 2023 gehörten 23.3% der Zürcher Bevölkerung der Evangelisch-reformierten Landeskirche (minus 12’400 Mitglieder oder -3.2%) und 21.7% der römisch-katholischen Körperschaft (minus 13.900 Mitglieder oder -3.8%) an. Die Römisch-Katholiken berichten von 162 Kircheneintritten 2023. Die beiden grössten christlichen Kirchen hatten noch ca. 720’000 Mitglieder. Und während die Einnahmen aus den Kirchensteuern aufgrund steigender Löhne und Gewinne der juristischen Personen in den letzten Jahren relativ stabil blieben, müssen sich die Kirchen zum Warum und Wieso der Austritte Gedanken grosse Gedanken machen! Sind es die nicht abbrechenden Berichte über Missbrauchsfälle oder der Unmut über weitere und nicht abbrechende dezidierte, politischen Aussagen seitens von Vertretern der Landeskirchen?

Neuer, institutionalisierter Beitrag der beiden grossen Landeskirchen an den Verband Orthodoxer Kirchen und die Vereinigung der Islamischen Organisationen, VIOZ

Neu sieht ein gemeinsame Tätigkeitsprogramm der beiden grossen Landeskirchen für die Jahre 2026 – 2031 vor, jährlich einen Beitrag von je CHF 1 Mio an die nicht anerkannten Religionsgemeinschaften (u. a. Verband Orthodoxer Kirchen und Vereinigung der Islamischen Organisationen, VIOZ) zu leisten. Regierungsrätin Fehr hat sich mehrmals lobend dazu geäussert.

Fazit

Vor dem Hintergrund massiv schwindendender Mitgliederzahlen der grossen christlichen Landeskirchen und einem steigenden Anteil von Einwohnern muslimischen Glaubens sowie Mitgliedern von Freikirchen und anderen Religionsgemeinschaften kommt die Politik im Kanton Zürich nicht darum herum, eine umfassende Auslegeordnung vorzunehmen. „Ist das derzeitige System noch zeitgemäss?“ (Kantonsrätin Corinne Hoss-Blatter, FDP Zollikon); „Soll die gleiche Summe ausgezahlt werden, bei einem Mitgliederbestand, der sich fast halbiert hat? Da geht es doch vielmehr darum, sich alte Pfründe zu erhalten…“ (Kantonsrat René Isler, SVP Winterthur). Und neben der veränderten Demographie muss auch in Betracht gezogen werden, „wenn der Staat beispielsweise Freiwilligenarbeit übernehmen müsste, das viel teurer und kaum finanzierbar wäre“ (Kantonsrat D. Loss, SP Zürich; alle NZZ 2.2.24).

Alle Argumente pro und kontra eines zu reduzierenden oder unveränderten? Rahmenkredits 2026 -2031 müssen anlässlich der Beratungen in der Vorberatenden Kommissionen Staat und Gemeinden (STGK) des Kantonsrats sowie in der Finanzkommission auf den Tisch kommen und anlässlich der Debatte im Februar 2025 im Kantonsrat seriös und unemotional überlegt und gegeneinander abgewogen werden.

Der emotionale und fast ausschliesslich einseitige Meinungsbeitrag von „Sozialminister“ Mario Fehr in der NZZ vom 25.November 2024 ist dafür nicht unbedingt hilfreich!