Nach über 28 Jahre kommt es zu einer Reform der gymnasialen Maturität. Die nationale Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) hat mit dem Erlass einer überarbeiteten Maturitätsordnung und eines neuen Rahmenlehrplans neue Vorgaben gemacht. Die Kantone stehen in der Pflicht, die Vorgaben bis 2029 umzusetzen. Die zehn bisherigen Grundlagenfächer (Deutsch; Französisch; Dritte Sprache: Englisch, Italienisch, Latein; Mathematik; Biologie; Chemie; Physik; Geschichte; Geographie; Bildnerisches Gestalten oder Musik) werden um zwei weitere Grundlagenfächer (Informatik und Wirtschaft und Recht) erweitert. Dazu kommen 3 Pflichtlektionen Sport pro Woche. Die EDK gibt neu keinen Wahlpflicht-Fächer- katalog mehr vor. Damit erhalten die Kantone grössere Freiheiten in deren Auswahl. Der minimale Fächeranteil ist von der EDK ebenfalls leicht angepasst worden: 27% (+2%) Mint-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften), 27% (-3%) Sprachen, 15% (-) WP-Fächer (Wahlpflichtfach, Schwerpunktfach, Maturaarbeit), 12% (+2%) Geistes- und Sozialwissenschaften, 6% (+1%) Kunstfächer, 13% (-2%) Spielraum Kantone.
Derzeit geniessen die 22 Zürcher Gymnasien (bis 2030 sind 4 weitere Gymnasien in Betrieb, im Bau oder geplant) gegenüber den Gymnasien in anderen Kantonen viele Freiheit und verfügen alle über ein eigenes Schulprogramm.
Der neunköpfige Zürcher Bildungsrat, gewählt durch den Kantonsrat, wird von der Bildungsdirektorin, Regierungsrätin Dr. Silvia Steiner präsidiert. Er erlässt die Lehrpläne und Reglemente der Gymnasien und ist für die den Schulbetrieb erforderlichen Rahmenbedingungen (u. a. auch für Promotion und Abschlussprüfungen) zuständig. Seine entsprechenden Entscheidungskompetenzen sind im Mittelschulgesetz festgesetzt (MSG, 413.21, § 4.1. und § 27.1). Er hat nun Grundsatzentscheide betreffend die Einführung der neuen Maturitätsordnung und des neuen Rahmenlehrplans gefällt (Projekt WegZH: Teilprojekt Fächer; Grundsätze und Eckwerte für die zukünftige Ausgestaltung der Fächerstruktur):
Weil die Zahl der Schüler weiter stark ansteigen wird und dafür mehrere neue Gymnasien eröffnet werden, bedingt dies gemäss Bildungsrat eine Veränderung der gymnasialen Bildungslandschaft. Damit auch weiterhin alle Jugendliche Zugang «zu einem vergleichbaren Angebot erhalten», so der Bildungsrat, «brauche es entsprechende kantonale und schulische Anpassungen». Ziel soll es sein, in den Gymnasien Breite und Tiefe in der Bildung zu erreichen und dies mit weniger Stress. Mit der von der EDK vorgeschriebenen Einführung der zwei neuen Grundlagenfächern wird wohl eher mehr als weniger Stress aufgebaut.
Auf Antrag des Regierungsrates (RRB Nr. 1094/2023) – und obwohl vom Kantonsrat noch nicht beschlossen – schreibt der Bildungsrat als erste Massnahme seines Erlasses die Einführung von Schulsozialarbeit an allen Gymnasien vor. Weiter sollen im Rahmenlehrplan übergeordnete Kriterien gestärkt werden (so die «Wissenschaftspropädeutik», d.h. die Hinführung zu wissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen). Und die individuellen Vertiefungsmöglichkeiten der Schüler sollen im Verlauf der Ausbildung erhöht werden und für die zukünftige Fächerstruktur der Anteil des Unterrichts mit reinem Fachfokus verringert sowie die Interdisziplinarität vermehrt werden. Trotz der zwei neuen Grundlagenfächer soll die Lektionenzahl für die gesamte Dauer des Obergymnasiums nicht erhöht werden. Es werden drei Fächertypen (Grundlagen-, Schwerpunkt- und Ergänzungsfächer) eingeführt. Diese zählen zusammen mit der Maturitätsarbeit zum Bestehen der Maturität. Der Bildungsrat stellt fest, in der Praxis der Zürcher Gymnasien zeige sich derzeit eine Vermischung der Fächertypen.
Gemäss den zwei neuen, bindenden Grundsätzen des Bildungsrates sind die Grundlagenfächer unabhängig vom gewählten Schwerpunktfach/Ergänzungsfach für alle Schüler gleich ausgestaltet und die Gesamtdotation der Grundlagenfächer soll im Verlauf der Ausbildung abnehmen. Der Grundlagenbereich ist klar vom Wahlpflichtbereich zu trennen. Die inhaltlichen Ziele und zu erreichende Kompetenzen werden in den entsprechenden Lehrplänen ausgewiesen und die interessenbegleiteten Vertiefungsmöglichkeiten sollen erhöht werden.
Neu definierte Eckwerte sollen im weiteren Projektverlauf detailliert erarbeitet werden: Die Gesamtdotation der Grundlagenfächer soll im Verlauf der Ausbildung abnehmen, die Gesamtdotation im Wahlpflichtbereich und die «interessensgeleiteten Vertiefungsmöglichkeiten» sollen zunehmen. Der Anspruch der Interdisziplinarität wird sowohl im Regelunterricht als auch im Rahmen von Spezialgefässen (Thementage, Projektwochen) umgesetzt. Im Katalog der Grundlagenfächer, welcher kantonal festgesetzt wird, figuriert das Fach Philosophie nicht mehr. Innerhalb jeder noch zu definierenden «Region» im Kanton muss das Vollangebot an Schwerpunktfächern zur Verfügung stehen. Der Schwerpunktfachkatalog soll eine Vertiefung in allen MAR (Maturitätsfachreglement-) Bereichen ermöglichen. Ein Teil der Lektionen im Schwerpunktfach findet neu interdisziplinär statt.

Fazit:

Die Einführung der zwei neuen Grundlagenfächer macht Sinn und ist überfällig. Die Geleichschaltung der verschiedenen Gymnasialtypen und der spezialisierten Gymnasien dagegen würde dieser gut gemeinten und stark beladenen «Reform», welcher leider schon jetzt der Geschmack eine gewissen «Club-Mediterranisierung» nicht abgesprochen werden kann, gar nicht gut bekommen.

(An-) Frage an den Regierungsrat, respektive an die Bildungsdirektion:

«Spezialisierte» Gymnasien, wie das Mathematisch-Naturwissenschaftliche Gymnasium (NMG Rämibühl), das Realgymnasium (RG Rämibühl), das Literaturgymnasium (LG Rämibühl) und die Kantonsschule Küsnacht (Schwergewicht auf Musik und Sprachen) kommen mit der Reform des Zürcher Bildungsrates hoffentlich nicht (weiter) unter die Räder. Sie sind ein wichtiger Pfeiler unserer hervorragenden zürcherischen Gymnasialausbildung und ganz wichtiger Treiber der Förderung zukünftiger akademischer und wissenschaftlicher Talente, sowie Wirkungsstätte ausserordentlicher Lehr- und Fachkräfte.

Ist sich dies der Regierungsrat respektive die Erziehungsdirektion bewusst? Wenn ja, wird die Bildungsdirektion dem unsinnigen Ansinnen des Bildungsrates trotzdem folgen?